Ende der Vollzeit-Beratung

Warum die Vollzeit-Beratung bei Unternehmen ausgedient hat

15. Februar 2022

Interim Management – oder auch Vollzeit- und Langzeitberatung – ist in vielen Situationen eine sehr sinnvolle Lösung. Aber warum erhoffen sich viele Unternehmen dadurch eine Erneuerung und innovative Ideen, dass sie operatives Geschäft in die Hände eines bzw. einer Außenstehenden legen anstatt das volle Potential gebündelter Stärke zu nutzen? Dies hier ist ein Plädoyer für diversere Beratungsteams.

Echte Veränderung durch Vollzeit-Beratung?

Als ich vor mehr als 10 Jahren anfing, als freiberufliche Unternehmensberaterin zu arbeiten, erhielt ich meine Aufträge überwiegend über Agenturen. Gefordert war fast ausschließlich eine Vollzeitanwesenheit vor Ort, bei der man sehr schnell in das Tagesgeschäft hineingezogen wurde. Manchmal bezeichnete man das dann korrekterweise als Interim Management.

Für viele Situationen passt das heute immer noch sehr gut, z.B. wenn eine offene Führungsposition in einem bestimmten Bereich vorübergehend besetzt werden soll. Auch für einen kritischen Blick auf diesen Bereich ist solch eine Art der Besetzung sehr gut geeignet, da der*die Interim Manager*in einen frischen Blick und andere Herangehensweisen an aktuelle Herausforderungen mitbringt.

Mit zunehmender Professionalität, Erfahrung und auch mittlerweile sehr klarem Bewusstsein über mein Können, meine Stärken – und meine Grenzen – stelle ich aber immer stärker fest, wie begrenzt diese Personalauswahl für manche Unternehmen und ihre Herausforderungen ist und welche Türen damit verschlossen bleiben, hinter denen echte Veränderung in wilden, bunten Farben liegen könnte.

Wenn eine Person alles verkörpern soll

So richtig bewusst ist mir das bereits vor einer Weile, als mir die Anfrage für ein*e Change Manager*in ins Haus flatterte. Gesucht wurde jemand, der*die u.a. Veränderungsprozesse in einem Konzern begleitet und Projektteams und Stakeholder anleitet. Außerdem wurde u.a. eine “starke Beratungs- und Moderationskompetenz” gefordert. Laut Ausschreibung ging es um Veränderung, Digitalisierung, Transformation und Zusammenarbeit mit Agenturen. Gleichzeitig wünschte man sich Methodenkompetenz und Erfahrung im Bereich Customer Experience und im Roll Out von Projekten.

Spannendes Projekt, dachte ich und hatte sofort ein kleines, großartig passendes Team im Kopf aus aufrüttelnden Kreativen sowie konzern- und prozesserfahrenen Selbständigen mit nachweisbarer Expertise, die zu den Anforderungen passte.

Ich war damals auch in andere Projekte eingebunden und konnte und wollte nicht Vollzeit zur Verfügung stehen. Nachdem ich meinen Vorschlag unterbreitet hatte, bekam ich eine Absage – man suchte ausdrücklich nur eine Person, die Vollzeit zur Verfügung stehen könnte. Schade.

Liebe namenlose Konzernorganisation, habt ihr Angst vor eurem eigenen “Change”? Solche umfangreichen Projekte brauchen unabhängige Unterstützung und Führung sowie verschiedene Sichtweisen, bunten Input, neue Ideen. Wie soll eine einzige Person all dieses – in herausragender Qualität, allumfassend, disruptiv, aber unterstützend und aufbauend – liefern können? Und dann auch noch prozesskonform und projektstrukturierend?

Derartige große Herausforderungen brauchen eine klare, führende und ordnende Hand, die dann für jede Einzelsituation und jedes Sub-Projekt die richtige Person einsetzt, die sie kennt und der sie vertraut – und die dann entweder ordnet oder strukturiert oder Fragen stellt, Antworten liefert oder auch mal mit einem lauten Knall alles wild in sich zusammenfallen lässt, damit es anders und frisch, inspirierend und motivierend wieder zusammengebaut werden kann.

Ende der Vollzeit-Beratung

Echte Veränderung passiert nicht im Routinegeschäft

Wird solch eine Aufgabe von einer einzigen Person übernommen, wird diese*r Berater*in über kurz oder lang in das Alltagsgeschäft hineingezogen, reibt sich aufgrund von Weisungsbefugnis-Hierarchie an Kompetenzgerangel auf und gerät in den Sog von den unausweichlichen “ja, aber …” und “das geht bei uns nicht”. Und richtig, echte Veränderung kann so nicht umgesetzt werden. Wo und wie soll sie ansetzen, wenn ein unternehmerisch-organisatorischer Alltag gewuppt werden will?

Liebe Personalverantwortliche, glaubt mir, die richtig guten Leute, die ihr für solch hochgesetzte Ziele braucht, stehen nicht ad hoc zur Verfügung (solche Ausschreibungen sind immer auf ein “schnellstmöglich” ausgerichtet). Die richtig guten Leute sind langfristig (aus)gebucht. Die richtig guten Leute sind sehr gefragt, sind für verschiedene Kund*innen und Bereiche unterwegs und können nicht für Monate aus ihrem sonstigen Business aussteigen. Um so innovativ zu bleiben, wie sie sind, können sie das auch gar nicht. Sie müssen sich ständig weiterentwickeln und offen bleiben für Neues und Trends.

Was ihr, liebe Auftraggeber*innen, für ein Projekt, wie das beispielhaft Genannte braucht, ist jemand, der euch und eure Organisation versteht, sich aber außerhalb dieser bewegt. Die oder der die richtigen Menschen auf die einzelnen Schwerpunktthemen ansetzt und ihnen den Rücken freihält, wenn sie eingefahrene Vorgehensweisen schockierend mit Füßen treten. Ihr braucht jemanden, der oder die daraus die richtigen Schlüsse zieht und eure Teams anleitet, diese Erkenntnisse dann zurück in die Organisation zu tragen und damit die Organisation aus ihrer manchmal angewöhnten Behäbigkeit aufzuschrecken und Neues zu etablieren.

Ihr braucht jemanden, die/der die passenden Menschen für genau diese Aufgaben kennt. Jemanden, die oder der auftaucht, ordentlich (aber respektvoll) Staub aufwirbelt und das unternehmensseitige Team mit geordneten Aufgabenpaketen zurück in seine Projekte schickt. Bis zur Deadline, bis zum nächsten jour fixe. Jemanden, die oder der weiß, wie man Menschen in ihre Kraft und aus ihrer Komfortzone holt und dabei Ansprechpartner*in und begleitende*r Coach für sie ist, wenn sie diese Themen dann auf ihre Weise angehen.

Veränderung benötigt Vertrauen

Liebe Unternehmen, wann hört ihr endlich auf, euch aus Angst vor Kontrollverlust selbst zu limitieren? Denn das ist es in meinen Augen: mangelndes Vertrauen aus Angst vor Kontrollverlust. Und anstatt “Vollzeit” und “dauerhaft vor Ort” (momentan eher “dauerhaft online”) in eure Ausschreibungen zu schreiben, empfehle ich:

“Wir sind offen für Ihre Ideen, Ihre Strategie, Ihre Führung und Ihr Team. Wir möchten mit großem Vertrauen in Sie in dieses für uns so wichtige Projekt starten. Um Ihnen dieses Vertrauen und damit die Freiheit über Ihre Arbeitsweise geben zu können, müssen für uns folgende Rahmenbedingungen erfüllt sein …”

Und dann fragt euch ehrlich, was braucht ihr, um vertrauen zu können? Und wenn die Antwort lautet, Kontrolle über jeden einzelnen Arbeitsschritt zu haben, dann ist das kein Problem in der Arbeitsweise der Person, die ihr kontrollieren wollt, sondern es ist eure ganz persönliche Grenze, die euch limitiert, in eurer “Blase” festhält und niemals freie, neue Ideen zulassen wird. Wollt ihr das wirklich?

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Eine Antwort

  1. Hallo Claudia,

    ein richtig guter Beitrag (Artikel). Ich mache aus der Innenperspektive leider ähnliche Erfahrung. Kontrollverlust ist wirklich das Problem. Das wird man wahrscheinlich nur mit Managern richtig angehen können, die bereit sind einmal ihre vermeintliche “Fallhöhe” hinten an zu Stellen und sich dann auf echte Veränderung einzulassen.
    Leider begegnen mir immer mehr Manager, die leider viel zu sehr auf Ihren Ruf bedacht sind und darauf keine Fehler zu machen, um sicher den nächsten Schritt auf die nächst höhere Ebene machen zu können.

    Nun denn, trotzdem ist es gut immer wieder darüber zu reden 🙂
    Einen ganz lieben Gruß nach Hamburg.

    Kai

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